Gehört zu: Mechanik – Kinematik
Siehe auch: Newtonsche Mechanik, Symmetrie, Phasenraum, Variationsrechnung
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Stand: 29.05.2024
YouTube: https://youtu.be/drZGeAkN4QI?si=4W_yQ9JWiE-vpk4R
Der Lagrange-Formalismus
Alternativ zu den Newtonschen Gleichungen kann man die Bahn, auf der sich eine Teilchen bewegt, auch durch den sog. Lagrange-Formalismus beschreiben. Dazu benutzt man die physikalischen Größen kinetische Energie und potentielle Energie.
Langrange-Funktion: \(\mathcal{L} = E_{kin} – E_{pot} \)
Eine Langrange-Funktion hängt von Variablen ab. Die kinetische Energie hängt klassischerweise von der Geschwindigkeit v ab. Die potentielle Energie hängt klassischerweise vom Ort r ab. Die Variablen der obigen Lagrange-Funktion wären dann also \(\mathcal{L}(v,r) \).
Wobei diese Lagrange-Funktion nur eine “Hilfsfunktion” ist und keine intrinsische physikalische Eigenschaft darstellt.
Ein Teilchen könnte sich nun von einem Anfangspunkt zu einem Endpunkt auf verschiedenen Bahnen bewegen. Jeder solchen möglichen Bahn ordnen wir nun als eine Zahl das Integral über die Lagrange-Funktion entlang der jeweiligen Bahn zu:
\( S(Bahn) = \int\limits_{Bahn} \mathcal{L}(v,r) \, dt \\ \)
Die Zahl S nennen wir “Wirkung”. Das Lagrange-Prinzip besagt nun, das das Teilchen sich auf derjenigen Bahn bewegen wird, bei der die Wirkung minimal ist.
Mit Hilfer der Eulerschen Variationsrechnung erhalten wir als Lösung dieser Minimums-Aufgabe die sog. Langrange-Gleichung (2. Art sagt man) als:
\(\Large \frac{d}{dt} \frac{\partial \mathcal{L}}{\partial v} – \frac{\partial \mathcal{L}}{\partial r} = 0 \\ \)
Setzt man in die obige Langrange-Gleichung die Ausdrücke für die kinetische und die potentielle Energie ein und bildet dann die für die Lagrange-Gleichung erforderlichen partiellen Ableitungen, so erhält man Bewegungsgleichungen, die man meist ganz einfach lösen kann.
Im Grenzfall ohne potentielle Energie ist:
\( \mathcal{L} = E_{kin} = \frac{1}{2} m \cdot v^2 \)
Und die Lagrangegleichung wird:
\( \frac{d}{dt}\frac{\partial \mathcal{L}}{\partial v} = \frac{d}{dt} (m v) = 0 \\ \)
Was genau die Newtonsche Impulserhaltung ist.
Warum Lagrange-Formalismus?
Es wird gesagt, dass man mit dem Lagrange-Formalismus, kompliziertere Probleme der Kinematik leichter lösen kann als mit den Newtonschen Gleichungen.
Bei der Newtonschen Mechanik geht es um die Summe der Kräfte, die auf einen Massepunkt wirken. Daraus ergibt sich dann die Beschleunigung (Σ F = m · a).
D.h. wir haben eine Anfangswert-Aufgabe und müssen mit Vektoren umgehen.
Beim Lagrange-Formalismus geht es um die potentielle und die kinetische Energie, die sich bei einem Bewegungsvorgang ändern, deren Summe aber konstant bleibt. Woraus man auch die Bewegungsgleichungen herleiten kann. Das kann einfacher sein, wenn die Summe der Kräfte schwierig zu ermitteln ist. Die Betrachtung aller Kräfte heißt mit Vektoren zu hantieren; potentielle und kinetische Energie sind Skalare.
Im Langrange-Formalismus werden typischerweise sog. generalisierte Koordinaten verwendet, die die Lösung schon mal vereinfachen. Die generalisierten (oder verallgemeinerten) Koordinaten bilden in der theoretischen Mechanik einen minimalen Satz von unabhängigen Koordinaten zur eindeutigen Beschreibung des räumlichen Zustands des betrachteten Systems. Diese werden so gewählt, dass die mathematische Formulierung von Bewegungen, möglichst einfach wird. Die generalisierten Orts-Koordinaten tragen oft das Formelzeichen \(q_i\), dann sind \(\dot{q}_i\) sog. verallgemeinerte Geschwindigkeiten. Durch geschickt gewählte verallgemeinerte Koordinaten kann man z.B. sog. “Zwangsbedingungen” von vorne herein und ohne zusätzliche Gleichungen mit einbauen.
Die minimale Anzahl der verallgemeinerten Orts-Koordinaten ist zugleich auch die Anzahl der sog. Freiheitsgrade des Systems.
Typische einfache Beispiele, an denen man den Lagrange-Formalismus Anfängern erklärt, sind: Freier Fall, Schiefe Ebene, Fadenpendel,…
Verwendung findet der Langrange-Formalismus z.B. in der Himmelsmechanik beim Mehrkörperproblem. Man kennt ja beim vereinfachten Dreikörperproblem die berühmten Lagrange-Punkte L1, L2 etc. wo ja gerne Raumsonden, wie SOHO, hingeschickt werden.
Beispiel 1: Freier Fall mit dem Lagrange-Formalismus
Siehe dazu auch:
https://www.youtube.com/watch?v=MIHlsj6kan4
Zur Beschreibung dieses ganz einfachen (eindimensionalen) mechanischen Versuchs benutzen wir als vereinfachte Orts-Koordinate s(t) mit s(0)=0 als Höhen-Koordinate in der Vertikalen in Richtung nach unten und dazu die vertikale Fallgeschwindigkeit v(t) mit v(0)=0.
Als potentielle und als kinetische Energie haben wir damit:
\( E_{pot} = – m \cdot s \cdot g \) (wobei g die Erdbeschleunigung ist und s in der gleichen Richtung wie g laufen soll – wie das auch oben der Fall ist)
\( E_{kin} = \frac{1}{2} \cdot m \cdot v^2 \)
und die Lagrange-Funktion dieses mechanischen Systems ist:
\( \mathcal{L}(v,s) = \frac{1}{2} \cdot m \cdot v^2 + m \cdot s \cdot g \\ \)
Wir bilden also ersteinmal die partielle Ableitung der Lagrange-Funktion nach der Geschwindigkeit v:
\( \Large \frac{\partial L}{\partial v} = m \cdot v \\ \)
Dann bilden wir die partielle Ableitung der Lagrange-Funktion nach der Ortskoordinate s:
\( \Large \frac{\partial L}{\partial s} = m \cdot g \\ \)
Die Lagrange-Gleichung lautet damit also:
\(\Large \frac{d}{dt} (m \cdot v) – m \cdot g = 0 \\ \)
Was nichts anderes heisst als:
\( \Large m \cdot \dot{v} – m \cdot g = 0 \\\)
Was genau die gleiche Bewegungsgleichung ist, wie oben mit den klassischen Newton Axiomen. Also ist die Lösung dieser Bewegungsgleichung auch die gleiche wie oben:
\( \vec{v}(t) = \vec{g} \cdot t \)
\( \vec{s}(t) = \frac{1}{2} \vec{g} \cdot t^2 \)
Für diesen sehr einfachen Fall würde man die Lagrange-Methode sicher nicht bemühen; man sieht aber, wie sie im Prinzip abläuft.
Beispiel 2: Fadenpendel mit dem Lagrange-Formalismus
Siehe dazu auch: https://youtu.be/76i4uNsgvvo
Ein “klassisches” Fadenpendel habe die konstante Länge l und unten dran hänge eine Masse m.
Klassisch würde man das in kartesischen Koordinaten x (waagerecht) und y (senkrecht nach oben) mit dem Aufhängepunkt des Pendesl als Koordinatenursprungversuchen zu lösen.
Man hätte dann noch die “Zwangsbedingung”, dass die Masse m sich immer nur im Abstand l vom Koordinatenursprung aufhalten kann.
Wir wählen jetzt generalisierte Koordinaten, mit denen wir das einfacher beschreiben können, nämlich ebene Polarkoordinaten (r,φ) wobei wieder der Aufhängepunkt des Pendels als Koordinatenursprung gewählt wird und wir den Winkel φ von der Senkrechten her messen mit positivem φ auf den rechten Seite und negativem φ auf der linken Seite. Dann ist die oben genannte Zwangsbedingung ganz einfach r = l und wir suchen nur noch nach den Bewegungsgleichungen für φ.
Als Koordinaten-Transformation haben wir:
\(x = l \cdot \sin{\phi} \enspace mit\colon \enspace \dot{x} = l \cdot \cos{\phi} \cdot \dot{\phi}\\\)
und:
\(y = -l \cdot \cos{\phi} \enspace mit\colon \enspace \dot{y} = l \cdot \sin{\phi} \cdot \dot{\phi}\\ \)
Für die Langrange-Funktion benötigen wir Ekin und Epot.
\( E_{kin} = \frac{1}{2} m (\dot{x}^2 + \dot{y}^2) = \frac{1}{2} m l^2 (\dot{\phi})^2 \\ \)
und mit dem Gavitationspotential:
\( E_{pot} = – \int F(r) dr = m \cdot g \cdot y = -m \cdot g \cdot l \cdot \cos{\phi} \\\)
damit ergibt sich als Lagrange-Funktion:
\( \mathcal{L} = E_{kin} – E_{pot} = \frac{1}{2} m l^2 (\dot{\phi})^2 + m \cdot g \cdot l \cdot \cos{\phi} = 0 \\\)
Und schließlich als Lagrange-Gleichung:
\( \Large \ddot{\phi} = – \frac{g}{l} \sin{\phi} \)
Diese schöne Differentialgleichung können wir leider nicht analytisch lösen. Aber für kleine Winkel \( \phi \) bekommen wir näherungsweise:
\( \Large \ddot{\phi} = – \frac{g}{l} \phi \)
was uns dann wieder auf die klassische (Näherungs-)lösung führt.
Diese Näherungslösung ist ein sog. Harmonischer Oszillator.
Ausserdem gibt es noch Hamilton
In der Quantenphysik wird auch häufig die Hamiltionfunktion verwendet:
\(H = E_{kin} + E_{pot} \)