Familie: Nach der Flucht: Bremen wird die neue Heimat

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Siehe auch: Husum und Kiel, Die Flucht aus Kolberg, Google Fotos
Benutzt: Fotos aus Flickr, Fotos von Google Drive

Stand:  07.10.2021

Nach der Flucht aus Kolberg: Bremen wird die neue Heimat

Arbeitssuche in Bremen

Nachdem Papa im August 1945 aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurde, kümmerte er sich auch sofort um Arbeit. Er erkundigte sich, wo welche Zeitungen wieder neu erschienen und schrieb für diese laufend Artikel. So konnte er schon etwas Geld verdienen. Anfangs schrieb er von Husum aus für Zeitungen in Kiel und Flensburg. Mit Hilfe einer Landkarte des Wehrkreises X fragte er sich: Wo könnten wir wohl hin? Wo gibt es noch/schon Zeitungen? Auf Verdacht schickte er dann seine Artikel an die verschiedensten Zeitungen in der Gegend.

Papa hatte sich dann bald für den Arbeitsort Bremen entschieden. Dort wohnte er im Hotel Schaper-Siedenburg am Bahnhof und bewarb sich zunächst auf eine Stelle, die der Weser-Kurier für Osterholz suchte. Diese Stelle wurde dann aber mit jemand anderem besetzt, der ein Auto hatte.

Gleichzeitig bewarb sich Papa bei Radio Bremen, wo der Sendebetrieb bald losgehen sollte. Die Bewerber wurden um “Probe-Reportagen” zum Thema “Bremer Straßenbahn” gebeten. Papa machte verschiedene Interviews zu diesem Thema und reichte seine Skripte ein. Er wurde als bester auch genommen, aber der Beginn des Sendebetriebs verzögerte sich immer wieder. Man konnte also schreiben, aber nichts wurde gesendet, also gab es auch kein Honorar. Papa schrieb aber als Freiberufler weiter für den Weser-Kurier und bald auch für die WAZ, die SZ u.a.

Während Papas Weihnachtsurlaubs 1945 in Husum kam auf einmal die Nachricht: “Radio Bremen sendet” (23.12.1945). Gleich nach Neujahr belieferte Papa nun auch Radio Bremen mit Texten, für die es dann endlich auch Honorar gab. Die ersten Chefs von Radio Bremen sind: Edward E. Harriman (US-Offizier), Walter Geerdes (Intendant), Hans-Günter Oesterreich (Sendeleiter).

Zuzug nach Bremen in die Kreuzstraße

Abbildung 1: Kreuzstr. 15 in Bremen: Im Souterrain wohnten wir 1946 (Google Drive: DK_20170313_00879.JPG)

Aufgrund seiner (bescheinigten) Arbeit in Bremen bekamen wir schließlich eine Zuzugsgenehmigung nach Bremen. In der Reihenfolge bekamen als Erste die im Kriege aufs Land gezogenen Bremer ihre Rückkehrgenehmigung. Als Zweite wurden dann Leute mit vorhandener Arbeitsstelle in Bremen zugelassen. Am 27.2.1946 zogen wir nach Bremen in die Kreuzstraße 15 zu Frau Zeise (?), deren Mann auf einer Schiffsreise gestorben war und ein Seebegräbnis erhalten musste.

In Bremen wurden wir dann auch “entnazifiziert”. Mutti wurde als “nicht betroffen” eingruppiert, Papa musste eine Geldbuße von RM 375,– zahlen, denn er hatte für den “Danziger Vorposten” geschrieben und der “Vorposten” galt als NSDAP-Zeitung. Für einige seiner Artikel im Vorposten benutzte er das Pseudonym “Paul Benecke”. Seine Entnazifizierungsakte war deshalb mit “Benecke/Kracht” beschriftet. Das brachte meinen Vater darauf, als er später bei “Weser-Kurier” anfing, unter dem Namen “Benecke-Kracht” zu schreiben.

Von der Bremer Bevölkerung wurden die Flüchtlinge sehr freundlich aufgenommen. Im Gegensatz zu der doch eher feindseeligen Haltung der Husumer, die nie etwas ernsthaftes vom Krieg mitbekommen hatten, mussten die Bremer den Krieg mit seinen Auswirkungen schon seit längerer Zeit am eigenen Leibe erfahren.

1947 geht’s dann in die Parkallee

Mutti ging jeden Tag auf’s Wohnungsamt in der Kohlhökerstraße (Google Maps), um eine größerer Wohnung zugeteilt zu bekommen. Nachdem nun zum dritten Mal Nachwuchs unterwegs war, klappte es plözlich im Juli 1947. Wir bekamen eine richtig große Wohnung in der Parkallee 25. Als Umzugswagen diente ein Fahrradanhänger, auf den wir unsere wenigen Sachen (z.B. leere Blechdosen, die als Kochtopf dienten) packen konnten. Ziehen mussten wir das Wägelchen allerdings mit der Hand.

Am 13.2.1948 kam dann der Nachwuchs. Zur Überraschung aller Beteiligten waren es gleich zwei: Rainer und Sabine. Aber wir hatten ja jetzt eine schöne große Wohnung.

Von der Parkallee aus hatte man auch einen guten Zugang zum Bahndamm am Barkhof. Papa und Opa konnten aus den dort stehenden Kohlezügen etwas für uns abzweigen. Andere schickten für diese Arbeit auch ihre größeren Kinder.

Opa (in Syke) hatte bei seiner Versicherung “Alte Leipziger” eine Stelle als Kassierer bekommen. Dadurch lernte er viele Leute kennen. Eines Tages bekam er auch den Tipp, dass in Rotenburg (Wümme) die Stelle eines Schriftleiters besetzt werden sollte. Papa fand diese Stelle in einer Kleinstadt aber nicht attraktiv genug. Später suchte die Süddeutsche Zeitung dann einen festen Korrespondenten für Hamburg. Papa entschied sich aber gegen einen Wechsel nach Hamburg. Er hatte in den Jahren seit 1946 schon solch’ gute Kontakte mit den lokalen Politikern geknüpft (z.B. dem Bürgermeister Willhelm Kaisen), wogegen Hamburg ein kompletter Neuanfang gewesen wäre.

Wir erlebten die Währungsreform am 20. Juni 1948: In der nahegelegenen “Oberschule am Barkhof” holten meine Mutter und ich unser “Kopfgeld” ab. Ostern 1950 kam ich dann in die Bremer Rembertischule. So wurde Bremen zu unserer neuen Heimat.