Familie: Die Flucht aus Kolberg

Gehört zu: Familie
Siehe auch: Nach der Flucht: Kiel und Husum

Die letzten Tage in Kolberg

Im März 1945 stießen die Russischen Truppen immer weiter nach Westen vor. Am 3.3. erreichen sie das Stettiner Haff, am 4.3. ist dann der Kessel um Kolberg vollständig geschlossen. Die Stadt war unter Beschuss und konnte nur noch auf dem Wasserwege verlassen werden.

Wir bestiegen am 7.3.1945 gegen 14 Uhr im Kolberger Hafen ein Schiff, so eine Art “Prahm”, von dem man sagte, dass es auch als Mienenleger gedient hatte. Wir, das sind meine Mutter, Klaus, Oma, Fräulein Ohms und ich; auch die anderen Bewohner des Hauses Ziegelschanze Nummer 7 waren dabei.

Das Schiff sollte uns von Kolberg nach Swinemünde bringen. Um 18:00 beginnt die Fahrt, die normalerweise etwa 6 Stunden dauert. Diesmal wird es aber 18 Stunden dauern, da wir nachts in ein Minenfeld geraten und erst bei Helligkeit vorsichtig weiter fahren können. Diese Schiffsreise war ein Horror: die Leute saßen dicht an dicht gedrängt unter Bord. Immer wieder drang Wasser ein, die Leute wurden seekrank und die Luft roch nach nach Übergebenem und anderen unangenehmen Düften. Immer wieder ging der Motor aus, aber man bekam nur selten Informationen über die Lage. Einige der Passagiere drehten auch durch (“Mein Mann stribt!”, “Das Schiff geht unter”, …) und schrieen panisch herum.

Papa hatte schon rechtzeitig alles Geld abgehoben und auf Postsparbücher eingezahlt.

Zwischenstation in Swinemünde

Als wir am 8.3.1945 gegen 10 Uhr in Swinemünde ankommen, stellen wir fest, dass in der Stadt Zig-Tausende von Flüchtlingen sind, die alle darauf warten, weiter nach Westen zu kommen.

Gleich nach der Ankunft in Swinemünde mietete Oma im erstbesten Hotel ein Zimmer an, wo wir alle unsere Sachen abstellen konnten und Mutti mit mir und Klaus erst einmal ausschlafen konnte. Oma und Frl. Ohms gingen als erste in den Ort, um zu erkunden, wie wir weiterkommen könnten.

Später ging dann Mutti ‘raus Richtung Bahnhof/Hafen, um sich zu orientieren. Draussen traf sie auf einen Leutnant von der Kriegsmarine, der sah dass sie schwanger war und fragte sie, ob sie weiter nach Westen wollte, was Mutti bejahte. Der Seemann erkundigte sich nach der Größe der ganzen Gruppe und bot an, alle mit dem Schiff nach Stralsund (Fliegerhorst Parow) mitzunehmen. Mutti zwar zuerst sehr zögerlich und erzählte von der hinter uns liegenden äußerst unangenehmen Schiffsreise von Kolberg nach Swinemünde. Der Marineleutnant versuchte Mutti zu beruhigen, denn der Kurs sollte ja nicht über’s offene Meer führen, sondern durch die Swine, das westliche Oderhaff, dann durch den Peenestrom, den Greifswalder Bodden und den Strelasund zum Fliegerhost bei Stralsund.

Am Himmel über Swinemünde sah man “Feindflugzeuge”, Luftalarm gab es zu dieser Zeit nicht mehr immer. Der Soldat erklärte, dass dies Aufklärungsflugzeuge seien und dass das auf einen bevorstehenden Bombenangriff hindeuten würde. Nun machte man am Schiff die Anmeldung zur Passage nach Stralsund perfekt.

Später haben wir erfahren, dass diese Entscheidung goldrichtig war, denn wenige Tage später, am 12.3. kamen bei einem massiven Bombenangriff der Amerikaner über 23 Tausend Menschen, meist Flüchtlinge, um.

Weiter mit dem Flugsicherungsschiff nach Parow

Die Route sollte auch nicht so gefährlich sein, weil sie nicht über das offene Meer führte, sondern durchs Stettiner Haff, über den Peenestrom, den Greifwalder Bodden und den Strelasund (zwischen Rügen und der Küste) durch.

Die Fahrt mit dem Flugsicherungsschiff begann am 8.3.1945 gegen 15 Uhr mit ca. 50 Flüchlingen, die handverlesen (nach Bedürftigkeit etc.) ausgesucht waren. Es dauerte länger, als man allgemein dachte. Man kam durch mehrere Staustufen/Schleusen der Peene und musste bei Dunkelheit nach einer Übernachtungsmöglichkeit für die ca. 50 Passagiere suchen. Ein am Peeneufer gelegender Gutshof erklärte sich zu Quartier und einfacher Verköstigung bereit. Mutti, Klaus und ich konnten in einem Bett schlafen, Oma und Fräulein Ohms in einem Stuhl am Tisch.

So ging es erst am nächten Morgen, dem 9.3.1945 weiter. Schließlich wurde das Ziel, der Land- und Seefliegerhorst Parow, der 5 km nördlich der Stadt Stralsund liegt, erreicht. Im Flughafen konnte man in einfachen Militärbetten die Nacht verbringen und am nächsten Morgen (10.3.1945) hatte das Militär den Transport der Flüchtlinge in the Stadt Stralsund per Pferdewagen organisiert.

Mit der Bahn von Stralsund nach Rostock

Von Stralsund konnten wir “normal” mit der Eisenbahn bis Rostock fahren. Wir übernachteten in einem Quartier im Stroh, während Frl. Ohms auf dem Bahnhof blieb und auf das Gepäck aufpasste.

Von Rostock aus sollte es eigentlich nach Karstädt (West-Prignitz) weiter gehen, so war es mit Papa besprochen, weil dort seine Verwandten (Famlie Kracht) wohnten. Zwischenzeitlich hatte aber Fräulein Ohms angeboten, uns alle mit nach Kiel zu nehmen, da dort ihre Schwester eine Vier-Zimmer-Wohnung hatte, die ansonsten leer war und also Platz für uns alle hätte. Mutti entschloss sich, dieses Angebot anzunehmen, weil es ihr in der vorliegenden Lage am vernünftigsten erschien. Später gab es dann ordentlich Krach mit den Karstädtern, denn die machten sich auf zu jedem dort ankommenden Zug, weil das ja so verabredet war.

Weiter mit der Bahn nach Kiel

Am nächsten Morgen dem 11.3.1945 ging es dann weiter mit der Bahn von Rostock nach Lübeck. Dort hatten wir eigentlich vor, uns mit Tante Lydia (Werner und Lydia Rühl) zu treffen. Es machte in dieser Situation aber keinen Sinn, lange zu warten. Also sollte es direkt weiter nach Kiel gehen. Im Lübecker Bahnhof waren Soldaten der Wehrmacht eingeteilt, um den “Reisenden” zu helfen. Wir wurden zum Zug nach Kiel gebracht. Dann gab es eine Lautsprecherdurchsage: Weil ein Stück der Bahnstrecke zerstört war, fährt der Zug über Bad Oldesloe nach Kiel.

Auf dem Wege müssen wir noch einmal übernachten. Das DRK hat die Überachtung in einer Turnhalle(?) organisiert, wobei die Kinder von den Erwachsenen getrennt werden sollen. Am anderen Morgen, dem 12.3.1945 kommen wir schießlich gegen 08:30 in Kiel am Bahnhof an und erreichen zwei Studen später dann das erste Etappenziel der Flucht, die Wohnung der Schwester von Frl. Ohms in der Lützowstraße. Mutti schreibt einen Feldpostbrief an Papa in dem die Ankunft in Kiel beschrieben wird. Diesen Brief bekommt er im Lazarett Neustrelitz.